China: Kaufchance oder Zeit für die Reißleine?

Prof. Dr. Michael Heise on Global Economics
November 2021

Der Aktienmarkt Chinas läuft seit geraumer Zeit dem Weltmarkt hinterher, und auch die riskanteren Anleihemärkte haben Anlegern zuletzt wenig Freude bereitet. Investoren fragen sich, ob es schon wieder die Zeit für einen Einstieg gekommen ist – oder ob sie um das Land besser dauerhaft einen großen Bogen machen sollten. Investoren in China haben harte Zeiten hinter sich. Obwohl sich das Land von der Corona-Krise im vergangenen Jahr beeindruckend schnell erholen konnte, konnten die Aktien nicht mit ihren weltweiten Pendants mithalten. Für Anleger in chinesischen Hochzinsanleihen sind nach den Zahlungsausfällen beim Immobilienunternehmen Evergrande in den vergangenen Wochen sogar heftige Verluste entstanden.

Ein Blick auf konjunkturelle, strukturelle und politische Faktoren

Diese Entwicklungen haben die weltweite Diskussion weiter angefacht und es stellt sich damit die Frage, ob es noch an der Zeit ist, in China zu investieren, oder ob das Land nach den harten regulatorischen Eingriffen der Regierung in die Geschäftsmodelle großer Firmen vielleicht sogar investitionsuntauglich geworden ist. Um in dieser Frage mehr Klarheit zu bekommen, hilft es, konjunkturelle und strukturelle oder politische Faktoren zu unterscheiden. Die konjunkturelle Situation der chinesischen Wirtschaft hat sich im Laufe des Jahres 2021 tatsächlich deutlich verschlechtert. Mehrere Faktoren haben dazu beigetragen: die Schwierigkeiten im volkswirtschaftlich wichtigen Immobiliensektor, Engpässe bei der Energieversorgung und bei anderen Vorleistungen, die vielfach nicht ausreichten, um die starke Nachfrage nach Waren zu befriedigen, wiederholte Abriegelungen von Regionen mit neuen Corona-Infektionen und schließlich straffe Regulierungseingriffe der Regierung in verschiedenen Branchen. Sie ließen die Aktienkurse fallen und haben die Kreditdynamik verlangsamt.

Meines Erachtens ist das unwahrscheinlich. Erstens sind die Probleme rund um Lieferketten und Energie vorübergehender Natur. Zweitens sind die für chinesische Verhältnisse derzeit geringen Zuwächse bei Investitionen und bei der Kreditvergabe auch durch strengere Regulierungen etwa im Banken- und Immobiliensektor bewusst herbeigeführt worden, um die Verschuldungsdynamik im privaten Sektor zu begrenzen. Sollte sich die Wirtschaft weiter abschwächen, ist es nur eine Frage der Zeit, bis mit Mitteln der Makropolitik gegensteuert wird.


Chinas Regierung verfügt über große Spielräume

Die Regierung hat einen großen Spielraum nicht nur im Hinblick auf Zinssenkungen und Liquiditätsspritzen durch die Zentralbank, sondern auch im Hinblick auf die Fiskalpolitik des Staates, der vergleichsweise wenig verschuldet und mit gewaltigen Devisenreserven ausgestattet ist. Anders als in der westlichen Welt sind in China nach der Überwindung der Corona Krise keine nennenswerten geldpolitischen Impulse oder Konjunkturprogramme umgesetzt worden. Nachdem sich die Kreditdynamik in den vergangenen Quartalen deutlich reduziert hat und die Inflation auf der Verbraucherebene im internationalen Vergleich niedrig ist, könnte jetzt aber durchaus eine expansivere Richtung eingeschlagen werden.
Zumindest dürfte die Regierung alles daran setzen im kommenden Jahr, in dem die Verlängerung der Amtszeit von Xi Jingping beschlossen werden soll, ein Wachstumstempo von mindestens 5% vorzulegen (nach rund 8% in diesem Jahr). Das ist es auch, was die meisten Prognosen derzeit erwarten lassen. Beschränkungen des Wachstums durch ein zu geringes Arbeitskräfteangebot werden angesichts der demografischen Entwicklung in den kommenden Jahren und Jahrzehnten auch in China immer stärker fühlbar werden. Aktuell sind die Engpässe am Arbeitsmarkt aber nicht so gravierend wie in vielen westlichen Ländern.


Sorgen bereitet vielen Beobachtern die aktuelle Ausrichtung der chinesischen Politik

Viele Beobachter beschwören derzeit die Gefahr, dass sich China abschottet, und zwar nicht nur in Bezug auf weitgehende Einreisebeschränkungen in der aktuellen COVID-Krise, sondern auch in Bezug auf mehr wirtschaftliche Autarkie. China will mehr Selbstständigkeit und weniger Abhängigkeit vom Ausland (wohl insbesondere von den USA). Belegbar ist das durch das schon ältere Programm des „Made in China 2025“ und des Projekts einer dualen Kreislaufwirtschaft,(dual circular economy), das im vergangenen Jahr angekündigt wurde. Mit der Zielsetzung größerer Selbstständigkeit werden verschiedene Technologiebereiche der Wirtschaft, nicht zuletzt die Chipproduktion oder Künstliche Intelligenz – massiv gefördert und mit dieser Zielsetzung wird mehr oder weniger direkt in die Geschäftsmodelle privater Unternehmen eingegriffen, wenn die Auslandsabhängigkeit zu groß erscheint. Auch die verteilungspolitischen Vorstellungen, die unter der Bezeichnung common prosperity (gemeinsamer Wohlstand) laufen, werden mit recht drastischen Mitteln wie etwa Zahlungspflichten für Großunternehmen und mächtige Wirtschaftslenker umgesetzt.
Gibt es unter diesen Bedingungen noch genügend Planbarkeit und Erwartungssicherheit, um in China zu investieren? Richtig ist zunächst, dass regulatorische Eingriffe in China häufig unerwartet und in autokratischer Form kommen und daher ein hohes Maß an Unsicherheit bei Anlagen gegeben ist. Diese Erkenntnis ist allerdings keinesfalls neu und sie verlangte schon immer nach einer höheren Unsicherheitsprämie für längerfristige Investitionen.
Neu wäre aber die von manchen Beobachtern vertretene Vorstellung, dass sich China nun vom Kapitalismus abwenden und mehr dem Kommunismus wieder zuwenden möchte. Allerdings ist diese Vorstellung ziemlich abwegig. China würde sich des wirtschaftlichen Erfolges berauben, den es in den Jahrzehnten der Globalisierung erzielt hat und der die Basis für den Machtanspruch des Landes auf der internationalen Bühne ist. Das nationale Ziel Chinas, die weltweite Wirtschaftsmacht Nr. 1 zu werden, kann man mit einer Rückwendung zur Planwirtschaft und mit Abschottung nicht erreichen.
China handelt so auch nicht, der Anteil der privaten Unternehmen wächst stetig, die chinesische Führung geht gegen marktbeherrschende Positionen vor und sie öffnet graduell die Finanzmärkte, die sie ebenfalls zu führenden Akteuren in der Welt machen will. Dem steht nicht entgegen, dass auch in der Zukunft weitere Eingriffe der Regierung in einzelne Branchen stattfinden werden, die aus der westlichen Sicht des Individualismus und der unabdingbaren Eigentumsrechte verstörend wirken können. Denkbar ist das etwa in Politikfeldern, in denen einkommensschwächere Schichten der Bevölkerung bessergestellt werden sollen, etwa im Bereich Wohnen oder bei der Gesundheit. Die chinesische Regierung wird jedenfalls Einiges unternehmen, um soziale Stabilität in ihrem Riesenreich zu sichern.

Fazit: Anleger sollten sich von dem Land nicht abwenden

Vor dem Hintergrund der nach wie vor guten wirtschaftlichen Perspektiven Chinas bietet die aktuell schwächere Marktlage durchaus eine Chance in dem Land zu investieren. Tatsächlich ist der Zufluss von Kapital nach China nicht abgebrochen, sowohl an den Aktienmärkten wie auch an den Rentenmärkten sind ausländische Anlagen auch in 2021 kräftig gestiegen. Das passt nicht so ganz zu dem überwiegend schlechten Bild, dass in der internationalen Debatte vom Wirtschaftsstandort China gezeichnet wird. Unter Renditegesichtspunkten dürften Investitionen in China weiterhin lohnend sein. Das mancher aus politischen Gründen dort nicht investieren möchte, steht auf einem anderen Blatt.

Diesen Artikel als PDF herunterladen:

eMail:

tELEFON:

+49 69 949488 050